Während Amazon, Apple, Alphabet und Co. mit ihren digitalen, arbeitsteiligen Plattformmodellen zu den wertvollsten Unternehmen weltweit aufgestiegen sind, haben sich Kundinnen und Kunden weltweit an nahtlose und umfassende digitale Services gewöhnt. Vor diesem Hintergrund und angesichts des bislang nur mit bescheidenem Erfolg umgesetzten Onlinezugangsgesetzes stellt sich für viele Akteure im öffentlichen Sektor die Frage, wie digitale Dienstleistungen der öffentlichen Verwaltung mit hoher Usability schnell entwickelt, bereitgestellt und betrieben werden können. Gleichzeitig stehen Ministerien, Behörden und Ämter in Multikrisenzeiten zusätzlich fundamentalen Herausforderungen gegenüber. Weshalb und wie digitale Ökosysteme der öffentlichen Verwaltung den Weg in die digitale, vernetzte und smarte Leistungserbringung ebnen, beleuchten wir in diesem Blog-Beitrag.
Herausfordernde Ausgangslage in der ÖV
Diverse Krisen mit globaler Tragweite treffen auf strukturelle Ressourcenknappheit wie Fachkräftemangel, Finanzierungsdefizite öffentlicher Haushalte sowie die politische Zielstellung, die digitale Autonomie und Resilienz zu stärken.
Gleichzeitig befinden sich viele Organisationen der öffentlichen Hand inmitten einer digitalen und kulturellen Transformation, die Investitionen erfordert, Ressourcen bindet und die Bewältigung der Linienaufgaben erschwert.
Nun wären dies allein schon schwierige Umstände für die Entwicklung digitaler Leistungen. Die gestiegene Erwartungshaltung der Unternehmen und Bürgerinnen und Bürger hinsichtlich nahtloser, also medienbruchfreier, register- und behördenübergreifender Leistungen erfordert vor dem Hintergrund struktureller Belastungen einen radikalen Ansatz der Kollaboration zwischen Behörden und föderalen Ebenen sowie Wirtschaftsteilnehmern, Wissenschaft und Forschung.
Disruptive Kollaboration für komplexe Problemstellungen
Die Leistungserbringung im öffentlichen Sektor muss sich stärker an der Lebensrealität der Menschen und Unternehmen ausrichten. Damit das gelingt, müssen digitale Dienste des Staates zukünftig verknüpft und an zusammenhängenden Bedarfen ausgerichtet werden.
Nötig ist dafür zweierlei: Erstens, die föderalen Ebenen und behördeninternen Silos zu überwinden und zweitens den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des öffentlichen Sektors sowie den Daten einen Raum für ein effektives Zusammenwirken bereit zu stellen.
Die effektive und übergreifende Zusammenarbeit der Behörden, die Co-Kreation - auch in innovationstreibender Kooperation mit Start-ups und Unternehmen - werden nicht nur von einer ziel- und nutzenorientierten Governance, sondern auch von angepassten Vorgehensmodellen und agiler Methodik befördert. Letztere erleichtern den effizienten Einsatz dezentraler Ressourcen aus dem Netzwerk der beteiligten Organisation, während die Governance sicherstellt, dass durch die Konstellation der beteiligten Akteure und der gemeinsamen Zielsetzung allen Akteuren signifikanter Mehrwert aus der Kooperation entsteht.
Gemeinschaftsvorhaben wie die Arbeits- und Entwicklungsgemeinschaften zu Smart-City-Anwendungen etablieren bereits netzwerkartige Wertschöpfungsmechanismen sowie kleine digitale Ökosysteme und befördern praxisnahe Innovationen.
Synergiepotential birgt dabei der Einsatz von Open-Source-Software, sprich öffentlichem und frei lizensiertem Quellcode, da sie die Nachnutzbarkeit und Interoperabilität von IT-Produkten stärkt.
Der Einsatz von Open-Source-Software vereinfacht die gemeinsame Entwicklung im digitalen Ökosystem bzw. erlaubt sie mitunter erst. Als Open Source im Ökosystem entwickelte IT-Komponenten können von allen mit ähnlichen Anforderungen und Problemstellungen weiterentwickelt und an die Bedürfnisse der eigenen Organisation angepasst oder in der Breite ihrer Funktionalitäten erweitert werden. Auf diese Weise ermöglicht Open Source eine schnelle, hoch skalierende und kosteneffiziente Digitalisierung auf Basis erprobter und weiterentwickelbarer Komponenten.
Für Open Source Code steht mit dem Code Repository „ Open CoDE“ eine aus der deutschen Verwaltungs-Cloud-Strategie entstandene Initiative bereit, über die bereits ein großes E-Government-Verfahren, die E-Gesetzgebung, agil entwickelt wird.
Anderen übergreifenden digitalen Vorhaben bzw. Leistungen fehlt es für die Entwicklung und den Betrieb oftmals an einem organisatorischen, technischen und kreativen Rahmen.
Digitale Ökosysteme: strategisch aufstellen und effektiv managen
Einen solchen Rahmen bieten digitale Ökosysteme, die an den strategischen Zielen der beteiligten Akteure ausgerichtet und effektiv gemanagt werden.
Der Wert digitaler Ökosysteme für die öffentliche Verwaltung liegt primär darin, dass sie einen vernetzten Kreativ-, Entscheidungs- und Entwicklungsraum bieten, der bisher in Silos verortete Stakeholder und Entscheidungsträger bedarfs- und lösungsorientiert zusammenbringt.
Erfolgreiche digitale Ökosysteme organisieren und koordinieren die drei Kerndimensionen Governance, Infrastruktur und Ressourcen und moderieren Co-Kreation in drei Phasen:
- Im Rahmen der Governance werden ausgehend von der Problemstellung Interessenallianzen gebildet, relevante Stakeholder identifiziert sowie Regeln, Verantwortlichkeiten, Fragen der Transparenz bzw. Offenheit, Sicherheit und kontinuierlichen Verbesserung adressiert. Eine effektive Governance stellt sicher, dass alle Beteiligten von der Expertise und den Fähigkeiten der anderen profitieren und im Rahmen des digitalen Ökosystems zu innovativen Lösungen ermutigt und befähigt werden. Wichtig ist zudem, dass dem Umstand zahlreicher und diverser beteiligter Akteure durch ein proaktives Steuerungskonstrukt über das gesamte Vorhaben Rechnung getragen wird.
- Ein digitales Ökosystem benötigt die entsprechende Infrastruktur für die gemeinsame dezentrale Problemlösung, die Entwicklung sowie den Betrieb von digitalen Diensten. Daher müssen digitale Umgebungen für vertrauenswürdige und kreative Zusammenarbeit, die behördenübergreifende Entwicklung und den Betrieb von Diensten bereitgestellt werden. Besondere Bedeutung erlangen digitale Ökosysteme, indem sie die Voraussetzungen für das Teilen und gemeinsame Nutzen von Daten schaffen und damit u. a. der Umsetzung des Once-only-Prinzips, dem registerübergreifenden Datenaustausch und der Verbesserung der Datenqualität Vorschub leisten.
- Digitale Ökosysteme ermöglichen, dass spezifische und außerordentlich komplexe Problemstellungen durch die Vielfalt und Tiefe an Erfahrung und Expertise der personellen Ressourcen des gesamten Ökosystems gelöst werden können. Dafür werden Fachexpertinnen und Experten sowie Spezialistinnen und Spezialisten identifiziert und unter einer Lastenverteilung, die die Leistungsfähigkeit und die Verpflichtungen aus der Linienorganisation berücksichtigt, zu einem leistungsstarken Organismus zusammengebracht. Dieser Organismus bildet das Kernteam für die gemeinsame Lösungsentwicklung und kann während der Co-Kreations-Phasen bedarfsorientiert ergänzt bzw. kosteneffizient verschlankt werden.
Die Zusammenarbeit im digitalen Ökosystem kann auf die Lösung einzelner Problemstellungen oder struktureller Kooperation ausgerichtet sein.
In jedem Fall beginnt die Co-Kreation mit dem Co-Planning, in dessen Zuge der Initiator bzw. die Initiatoren des digitalen Ökosystems die gemeinsame Problemstellung initial definieren sowie den Umfang und das Ziel beschreiben. Davon ist maßgeblich abhängig, wie die Akteure des Ökosystems orchestriert werden und welche Rahmenbedingungen zu schaffen sind.
Anschließend soll und kann in der Co-Design-Phase die Kreativität der Beteiligten angeregt und für die Ideation, Konzeptionalisierung und das Lösungs-Engineering sowie letztlich die Entwicklung (und Testung) von digitalen Angeboten genutzt werden. In dieser Phase kommen die Vorteile des digitalen Ökosystem zum Tragen, da es die Einbindung von Nutzerinnen und Nutzern in einer kreativen Umgebung forciert.
Insbesondere die Co-Planning- und Co-Design-Phase laden bei Vorhaben der Umsetzung gesetzlicher Bestimmungen dazu ein, Legislative-Vertreterinnen und Vertreter aus den Fachausschüssen einzubinden. Auf diese Weise erlangt die Gesetzgebung wichtige und frühzeitige Hinweise auf Umsetzungshürden und Möglichkeiten, diese im legislativen Prozess auszuräumen.
Die dritte Phase, die Co-Delivery-Phase, stellt sicher, dass die Entscheiderinnen und Entscheider zu einem tragfähigen Betriebsmodell kommen, das ressortübergreifend Zuständigkeiten und Kompetenzen regelt und Aspekte betrieblicher, technischer und prozessualer Natur harmonisiert. In diesem Zuge werden entwickelte Lösungskomponenten je nach Lizenzierungsmodell zur freien oder spezifischen Verwendung bereitgestellt und in die produktiven Umgebungen integriert. Dieser Schritt ist für entwickelte Angebote, Dienste und Leistungen, die behördenübergreifend erbracht werden sollen, unerlässlich. Zusätzlich bietet die Co-Delivery-Phase den Rahmen dafür, unter Beteiligung der User, Entwickler, Behörden und Betriebsorganisationen agil die Usability und den Funktionalitäts-umfang zu verbessern und den dahinterliegenden Prozess der Leistungserbringung zu optimieren.
GovTech Campus: Auf in die agile, vernetzte Zusammenarbeit!
Der GovTech Campus, 2022 initiiert von der Bundesregierung, Bundesländern und der Technologie-Szene, ist mittlerweile eine viel beachtete Plattform für Innovationen und Co-Kreation in der öffentlichen Verwaltung mit nunmehr drei Standorten. Der GovTech Campus bildet mit seinen Räumlichkeiten, seiner digitalen Infrastruktur und seinen Programmen ein vielversprechendes Fundament digitaler Kooperation zwischen bzw. unter Behörden und Akteuren aus Start-ups, etablierten Wirtschaftsteilnehmern, Wissenschaft und Zivilgesellschaft.
Mitgliedsorganisationen können den GovTech Campus als Entscheidungs- und Kreativraum nutzen, der auch die vertrauenswürdige Umsetzung sicherheitsrelevanter Projekte ermöglicht. Für innovative und komplexe Co-Kreations-Projekte des öffentlichen Sektors bietet die Umsetzung am GovTech Campus daher einen idealen Ansatz. Als Förderpartner des GovTech Campus der ersten Stunde begleitet Sopra Steria Sie gerne dabei, Ihre komplexen Herausforderungen in einem leistungsstarken Ökosystem umzusetzen.
Mein Fazit: Behörden müssen auf dem Weg zu einer schnellen und skalierbaren Digitalisierung mit Ressortgrenzen und Silos überwinden und in einen Modus der Zusammenarbeit und Co-Kreation übergehen. Ein wesentlicher Baustein ist die plattformbasierte und strategisch gesteuerter Zusammenarbeit in einem digitalen Ökosystem, bestehend aus unterschiedlichen Organisationen wie Behörden, Unternehmen, Wissenschaftseinrichtungen und Vertretern der Zivilgesellschaft.
Derart erlaubt die gemeinsame Lösungsentwicklung den nächsten großen Schritt in der Verwaltungsdigitalisierung: weg von der Digitalisierung von Einzelleistungen hin zu übergreifenden, zusammenhängenden Lösungen, die wirklich an den Bedürfnissen der Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen ausgerichtet und nahtlos in der Anwendung sein werden.