Navigation durch unsichere Zeiten
Gestörte Lieferketten, Lieferengpässe, steigende Rohstoff- und Energiepreise – Unternehmen werden durch vielfältige exogene Faktoren auf eine harte Probe gestellt. Kosten senken und gleichzeitig die eigene Liquidität sicherstellen ist meist die Reaktion darauf. Doch Kostensenkungen wirken sich auch auf die Forschungs- und Entwicklungsetats der Unternehmen aus. Mit weniger Budget sollen neue, innovative Produkte in kürzerer Zeit entwickelt werden, die den stetig steigenden Ansprüchen von immer wechselbereiteren Kunden genügen müssen. Und gleichzeitig wird es für die Unternehmen immer schwerer, Experten und Fachkräfte für sich zu gewinnen.
Kooperationen mit einem Open-Business-Konzept können helfen, diesen Herausforderungen entgegenzutreten.
Von Eigenentwicklung und Silodenken hin zu Offenheit und Zusammenarbeit
Mit dem Entschluss, die eigene Innovationsfähigkeit mit Partnern zu steigern, ist es jedoch nicht getan. Gefragt ist eine tragfähige Strategie. Sie beinhaltet die Identifikation geeigneter Partner und Ressourcen ebenso wie die Entwicklung potenzieller Geschäftsmodelle. Unternehmen müssen bewerten, ob und in welchen Bereichen eine Kooperation vorteilhaft ist. Zusätzliche Kosten und der hohe Koordinations- und Kommunikationsaufwand hingegen stehen auf der anderen Seite der Waagschale.
Sind die Partner für eine Kooperation mit einem Open-Business-Modell gewonnen, muss die Möglichkeit geschaffen werden, gemeinsam auf Ressourcen, Entwicklungssysteme oder Plattformen zugreifen zu können. Eine offene Unternehmenskultur, crossfunktionale Teams und die Überwindung von Silogrenzen sind dabei unabdingbare Voraussetzungen. In der Zusammenarbeit werden die Innovationsprozesse des Unternehmens geöffnet, um vom Fachwissen, der Innovationskraft und der Technologie der Partner profitieren zu können. Das gemeinsame Geschäftsmodell muss so ausgestaltet und weiterentwickelt werden, dass alle Partner einen wirtschaftlichen Vorteil erhalten können. Dabei ist es wichtig, den Wissensaustausch und die Zusammenarbeit kulturell zu verankern.
Open-Source-Software bildet oftmals die Grundlage für neue Produkte. Die Idee dahinter: Die Community beteiligt sich an der Softwareentwicklung, kann eigene Anpassungen und Funktionen entwickeln und trägt so einen Teil zur Weiterentwicklung bei. Die Kooperationspartner geben ihre eigene Entwicklung auf Basis der Open-Source-Lizenz an die Community zurück.
Der Erfolg des Open-Business-Modells sollte kontinuierlich bewertet werden. Hierzu können klassische Kennzahlen wie Umsatz- und Gewinnwachstum, aber auch die Anzahl und die Qualität der Partner erhoben werden.
Die Automobilindustrie öffnet sich für Open-Business-Modelle
Gerade die klassischen Automobilhersteller, die ihre Produktion sukzessive von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor auf elektrisch angetriebene Fahrzeuge umstellen müssen, sehen sich einem hohen Kostendruck ausgesetzt. Die Mittel für die Fahrzeugentwicklung sind für Verbrenner- und batterieelektrische Fahrzeuge nicht ausreichend. Dabei müssen die Hersteller sinkende Margen aufgrund der noch hohen Batteriepreise in Kauf nehmen. Gleichzeitig nimmt für das batterieelektrische Fahrzeug die Software einen zentralen Stellenwert ein und muss als Bestandteil des Entwicklungsbudgets eingeplant werden. Auch nach der Produktion des Fahrzeuges, in der Nutzungsphase, erwartet der Kunde Verbesserungen und neue Funktionen über Over-the-Air-Updates.
Die Einbeziehung neuer strategischer Partner trägt diesem Umstand Rechnung. Im Unterschied zum Verhältnis Hersteller und Zulieferer verfolgen Hersteller und Partner ein gemeinsames Geschäftsmodell. Kooperationen werden besonders in den Bereichen Chipdesign, KI/autonomes Fahren und Software geschlossen. So arbeitet NVIDIA mit Mercedes-Benz zusammen, um das Herzstück des Software-Defined Vehicle zu entwickeln, mit dessen Architektur und Software später das vollautonome Fahren (Level 5) ermöglicht werden soll. BMW hingegen kooperiert in diesem Bereich mit dem Chiphersteller Qualcomm. Die In-Car-Navigation entwickelt Mercedes-Benz zukünftig zusammen mit Google als Technologiepartner. Dafür wird nicht mehr auf den Kartendienst HERE zurückgegriffen, an dem auch BMW und Audi beteiligt sind.
Kooperationen in einzelnen Bereichen sind also oft schon an der Tagesordnung, doch eine strategisch sinnvolle und notwendige Kooperation von Automobilherstellern und Zulieferern zur Entwicklung eines gemeinsamen Betriebssystems für Fahrzeuge, wie sie BMW einst angeregt hatte, lässt bislang noch auf sich warten.
Die Innovationskraft und Schnelligkeit von Start-ups nutzen
Start-ups sind in Sachen Innovationskraft und Schnelligkeit wertvolle Kompetenzträger und damit für Open-Business-Modelle wichtige potenzielle Kooperationspartner. Sopra Steria hat in Zusammenarbeit mit Ipsos und INSEAD jüngst im „Open Innovation Report 2023“ eine umfassende Studie veröffentlicht. Sie befragten 1.648 Start-ups und Unternehmen aus 10 europäischen Ländern zu ihrem Kooperationsverhalten. Im Ergebnis zeigte sich, dass bereits 3 von 4 der befragten Unternehmen ein Open-Innovation-Projekt mit einem Start-up eingegangen sind. Auffällig dabei: Während unsere europäischen Nachbarn Start-ups längst als Innovationsturbo begreifen, kooperieren deutsche Firmen am wenigsten mit den jungen Unternehmen. Lediglich 57 Prozent – das ist der niedrigste Wert im Vergleich zu den neun weiteren untersuchten Ländern – haben bereits mit Start-ups zusammengearbeitet. Die gute Nachricht: In der Tendenz sind heute mehr Unternehmen in Deutschland offen gegenüber Start-up-Kooperationen als noch vor einigen Jahren, das zeigen unsere Marktstudien. Open Business wird demnach in einigen Bereichen bereits erfolgreich gelebt und ist längst kein Marketing-Gag mehr.