"Wir fahren keinen Zickzackkurs"

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In manchen Branchen braucht es einen besonders langen Atem – in der Landwirtschaft zum Beispiel. Warum sich Weichenstellungen dort oft erst zehn Jahre nach einer Entscheidung bemerkbar machen, beschreibt Dr. Felix Büchting, Vorstandssprecher der KWS Gruppe, im Gespräch mit Michael Buttkus, Senior Partner von Sopra Steria Next. Und erklärt, wie Drohnen und KI schon heute bei der Pflanzenzüchtung und im Pflanzenschutz helfen.

 

Michael Buttkus: Herr Büchting, welche strategischen Maßnahmen haben Sie in den vergangenen Jahren ergriffen, um Ihre Position im Markt zu sichern oder auszubauen?

 

Felix Büchting: In unserem Geschäftsfeld sind einige Rahmenbedingungen ganz entscheidend, die ich vorwegnehmen muss: Wir haben ein sehr saisonales Geschäft und können unsere Produkte in der Regel nur einmal jährlich verkaufen – damit unterscheiden wir uns von den meisten anderen Industriezweigen. Außerdem nimmt die Produktentwicklung bei uns viele Jahre in Anspruch. Ab der initialen Kreuzung zweier Pflanzen rechnen wir mit etwa zehn Jahren, bis ein Produkt auf dem Markt ist. Wenn Sie so wollen, haben wir also ein vergleichsweise langsames Geschäftsmodell. Deshalb müssen wir auch langfristig planen und Entscheidungen mit Blick in die Zukunft treffen. Unsere Entscheidungen machen sich nicht kurzfristig bemerkbar, sondern haben langfristig Einfluss.

 

Michael Buttkus: Welche dieser Entscheidungen war zuletzt besonders wegweisend für Ihr Unternehmen?

 

Felix Büchting: 2018 haben wir entschieden, in die Gemüsezüchtung einzusteigen. Bis dahin war KWS auf landwirtschaftliche Kulturarten in gemäßigten Klimazonen, also Europa und Nordamerika, fokussiert: Zuckerrübe, Raps, Getreide und Mais. Vor sieben Jahren haben wir entschieden, uns breiter aufzustellen: Für Tomate, Gurke, Paprika, Melone und Wassermelone haben wir seither eigene Zuchtprogramme aufgebaut. Dieses Geschäftsfeld möchten wir ausbauen, auch wenn es zu Beginn bedeutet, dass wir damit mehr Kosten produzieren, als wir Umsätze generieren. Das halte ich allerdings für eine Grundlage unseres Erfolgs: Wir geben uns die nötige Zeit, haben einen langen Atem und fahren keinen Zickzackkurs.

 

Michael Buttkus: Zielen Sie – neben neuen Produkten – auch geografisch auf neue Märkte ab?

 

Felix Büchting: Ja, da gibt es viele weiße Flecken auf der Landkarte, wo KWS noch nicht vertreten ist. Wir sind gut aufgestellt in den gemäßigten Klimazonen, aber wir werden in den nächsten fünf bis zehn Jahren unser Portfolio vor allem im Bereich Gemüse gezielt um weitere Kulturarten erweitern, die auch in anderen Regionen attraktiv sind.

 

Michael Buttkus: Welche weiteren Geschäftsfelder werden für Sie in Zukunft eine Rolle spielen?

 

Felix Büchting: Ich sehe vor allem zwei Stränge. Einer sind digitale Services, die wir um das physische Produkt Saatgut herumbauen: Wir fragen uns kontinuierlich, wie wir unsere Kunden noch intensiver über die gesamte Vegetationsperiode hinweg begleiten können. Dabei werden digitale Service-Anwendungen und KI eine große Rolle spielen, das ist ein wichtiges Zukunftsfeld für uns. Das zweite Geschäftsfeld, in dem wir erste Schritte unternehmen, ist die pflanzenbasierte Ernährung. In den Industrienationen hält bekanntlich der Trend an, weniger Fleisch zu essen und auf pflanzenbasierte Ernährung umzusteigen. Wir wollen einen wichtigen Beitrag zu dieser Entwicklung leisten, der über die klassische Saatgutversorgung hinausgeht. Deshalb fragen wir uns: Wie können wir mit unserem Know-how in der Pflanzengenetik die Zusammensetzung beispielsweise einer Erbse so verändern, dass die Pflanze noch interessanter für die Nahrungsmittelindustrie wird? Letztlich geht es uns darum, Pflanzenproteine zu entwickeln, die etwa den Veggie-Burger geschmacklich besser machen und gleichzeitig Zusatzstoffe in der Produktion einsparen.

 

Michael Buttkus: Sie haben digitale Tools und KI-Anwendungen erwähnt. Welche Rolle werden diese in Ihrer Branche und in Ihrem Unternehmen einnehmen?

 

Felix Büchting: Da gibt es einige unheimlich spannende Entwicklungen. Aktuell arbeiten wir intensiv an der Merkmalserfassung mithilfe von Drohnen: Ein Züchter, der ins Feld geht, kann nur eine kleine Anzahl von Pflanzen erfassen. Wenn hingegen eine Drohne übers Feld fliegt, geht das viel schneller, regelmäßiger und generiert mehr Datenpunkte. Diese Daten helfen anschließend bei der Entscheidungsfindung im Umgang mit den Pflanzen. Das ist der direkte Einsatz auf dem Feld. Ein zweiter Bereich für den KI-Einsatz ist die Arbeit im Labor: Je mehr molekulare Daten wir auf genetischer Ebene mithilfe von Algorithmen und KI auswerten, desto präziser werden Vorhersagen über die künftige Produktperformance. Das nutzen wir schon jetzt intensiv, und es führt dazu, dass wir nicht mehr alle Kandidaten im Feld testen müssen, sondern KI-basierte Vorhersagen machen. Aus der Nutzung solcher Datenalgorithmen kamen zuletzt die größten Effizienzsprünge in unseren Züchtungsprogrammen.

 

Michael Buttkus: Hilft die KI auch Ihren Kunden?

 

Felix Büchting: Ja, zum Beispiel bei der Erkennung von Blattkrankheiten. Heute macht ein Landwirt ein Foto auf dem Feld, und mit mehr als 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit sagt ihm die KI: „Das ist diese oder jene Krankheit, bitte einen Berater kontaktieren.“ Oder: „Mit dieser oder jener Maßnahme gegensteuern.“ Hinzu kommt die Kopplung an Echtzeitdaten, wodurch die KI den Landwirten sagen kann: „Bald erwartet dich ein bestimmtes Wetterereignis. Bei der Sorte, die du anbaust, sind deshalb die folgenden Maßnahmen nötig.“ KWS hat hierfür eine KI-Beraterin entwickelt, die aktuell bereits in fünf Märkten in Osteuropa Landwirte berät: Unsere Kundinnen und Kunden können sie jederzeit alles fragen, etwa ob es zu einer bestimmten Jahreszeit noch sinnvoll ist, Raps zu pflanzen. Der Chatbot stellt dann einige Rückfragen und gibt Ratschläge, welche Sorten zur entsprechenden Zeit und in der jeweiligen Region ideal wären.

 

Michael Buttkus: Nutzen Sie digitale Anwendungen auch, um dem Fachkräftemangel zu begegnen?

 

Felix Büchting: Wir wollen den technischen Fortschritt überall dort nutzen, wo es komplizierter wird, Personal zu finden. In unserer Branche wird es immer schwieriger, Menschen zu gewinnen, die Schichtarbeit machen oder im Sommer schwere körperliche Arbeit auf dem Feld übernehmen. In der Landwirtschaft geht es nicht nur um einen Mangel an Fachkräften, sondern auch um ungelernte, körperlich anstrengende Arbeiten. Wo wir solche Arbeiten automatisieren können, tun wir das mithilfe digitaler Anwendungen.

 

Michael Buttkus: Fachkräfte sind also gar nicht das Kernproblem in Ihrer Branche?

 

Felix Büchting: Sie sind nicht das einzige Thema, aber der Fachkräftemangel betrifft uns natürlich auch. Wie viele andere Unternehmen müssen wir uns immer mehr Gedanken darüber machen, wie wir Mitarbeitende für KWS begeistern können. Wir investieren heute beispielsweise mehr in die Ausbildung als früher. Wir machen das sehr gezielt mit einem eigenen Ausbildungszweig in Pflanzentechnologie. Ein Vorteil unseres Unternehmens im Vergleich zu den großen Agrarchemieunternehmen ist, dass wir ein reiner Saatgutspezialist sind. Gerade junge Menschen schätzen dieses Fehlen der chemischen Komponente und sind davon überzeugt, dass KWS so einen Beitrag zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft leistet. Das motiviert sie.

 

Michael Buttkus: Welche weiteren Erfolgsrezepte haben Sie im Umgang mit Ihren Beschäftigten?

 

Felix Büchting: Wir schaffen ein Umfeld, in dem sich die Menschen wohlfühlen: gute Arbeitsräumlichkeiten, attraktive Benefits. Zudem versuchen wir, an unseren Standorten eine aktive Rolle in der Gesellschaft zu spielen, zum Beispiel durch die Förderung kultureller Angebote oder der Sportangebote vor Ort. Ein weiterer entscheidender Faktor ist Freiraum: Wir sind überzeugt davon, dass wir unseren Mitarbeitenden genug Freiraum einräumen müssen, damit sie sich entfalten können. Es ist wichtig, den Menschen Verantwortung zu übertragen und auf diese Weise Kreativität und neue Ideen zu fördern. Immer natürlich in Kombination mit einer klaren Leistungs- und Gewinnorientierung, die es eben genauso braucht.

 

Michael Buttkus: Vielen Dank für das interessante Gespräch.

 

 

Dr. Felix Büchting ist seit Januar 2023 Vorstandssprecher der KWS Gruppe mit Sitz in Einbeck. 2004 promovierte der Agrarbiologe und Crop Scientist über molekulare Züchtungsmethoden in der Sonnenblume, anschließend stieg er bei KWS ein. Zwischenzeitlich arbeitete er für die Symrise AG, um 2016 zur KWS zurückzukehren. Seit 2019 ist er dort Teil des Vorstands.

Das Unternehmen: Das 1856 gegründete Pflanzenzüchtungs- und Biotechnologie-Unternehmen KWS entwickelt Saatgut für Zuckerrüben, Mais, Getreide, Ölsaaten, Eiweißpflanzen, Spezialkulturen, Ökosaatgut und Gemüse. Muttergesellschaft der KWS Gruppe ist die KWS SAAT SE & Co. KGaA, die unter anderem die Züchtung und den Vertrieb von Zuckerrüben- und Maissaatgut betreibt. Mit seinen knapp 5.000 Beschäftigten erwirtschaftete das Unternehmen 2023/24 in mehr als 70 Ländern einen Umsatz von knapp 1,7 Milliarden Euro.

 

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