Nachgefragt bei Mustafa Cavus, dem Blockchain-Experten bei Sopra Steria.
Es gibt bereits einen elektronischen Zahlungsverkehr. Warum braucht es einen digitalen Euro beziehungsweise einen E-Euro? Wie soll der funktionieren?
Es mag im ersten Moment etwas verwundern, doch im Grunde ist der digitale Euro eine neue Form von Bargeld. Bezahle ich heutzutage mit einer EC-Karte im Geschäft oder per Smartphone, dann zahle ich mit Giralgeld. Giralgeld ist nur mein Anspruch gegenüber einer Bank auf Auszahlung einer bestimmten Bargeldmenge. Geht eine Bank jedoch pleite, müsste ich diese Ansprüche über den Einlagensicherungsfonds geltend machen. Mein Bargeld hingegen ist sicher und steht mir, wenn ich es in meiner Geldbörse aufbewahre, jederzeit zur Verfügung – völlig unabhängig von der Frage, wie es den Geschäftsbanken wirtschaftlich geht.
Genauso wäre es auch mit dem digitalen Euro, der nicht auf einem Bankkonto verwahrt wird, sondern in einer persönlichen Wallet – also einer elektronischen Geldbörse. Ausgegeben wird er nicht von den Geschäftsbanken, sondern direkt von der Europäischen Zentralbank (EZB) – wenngleich den Banken möglicherweise dennoch eine Art Verteilerrolle zukommen könnte. Und während ich mit dem Giralgeld zunächst einen Anspruch gegenüber den Geschäftsbanken auf Auszahlung von Bargeld habe, stellt der digitale Euro genau wie herkömmliches Bargeld einen direkten Anspruch gegenüber der Europäischen Zentralbank dar, die den stabilen Wert des Bargeldes garantiert.
Es ist oft die Rede davon, dass der digitale Euro programmierbar wäre. Was bedeutet das genau, und welche Folgen hat das?
Es ist tatsächlich noch nicht klar, ob der digitale Euro am Ende wirklich programmierbar ist. Doch es ist eine Möglichkeit, die unter anderem in einem Positionspapier vom FinTechRat 2020 beim Bundesfinanzministerium vorgestellt worden ist. Ein solcher digitaler, programmierbarer Euro könnte es beispielsweise ermöglichen, bestimmte Zahlungsvorgänge zu automatisieren. Dafür kämen Smart Contracts zum Einsatz.
Solche Smart Contracts legen Zahlungsbedingungen fest. Was das konkret bedeutet, zeigt ein Blick auf einen typischen Geschäftsprozess. Die Lieferung oder Bereitstellung einer Leistung ist als Teilprozess heutzutage unabhängig von der Bezahlung. Smart Contracts können diese beiden Teilprozesse integrieren. Perspektivisch bedeutet das auch, dass solche Prozesse völlig unabhängig von Banken gestaltet werden könnten.
Welche Unterschiede gibt es zu Kryptowährungen wie dem Bitcoin und zu Initiativen wie Diem?
Im Vergleich zu bestehenden Kryptowährungen, die größtenteils auf einer öffentlichen Blockchain basieren und nicht von einer spezifischen Organisation kontrolliert oder von ihr verantwortet werden, steht hinter dem digitalen Euro die Europäische Zentralbank.
Außerdem ist unklar, ob es sich bei dem digitalen Euro überhaupt um eine Währung auf Blockchain-Basis handeln wird. Tatsächlich testet die EZB derzeit zwei unterschiedliche Technologien: die Distributed-Ledger-Technologie und TIPS. TIPS steht für das Target Instant Payment Settlement. Die Plattform wurde 2018 eingeführt und ermöglicht Echtzeitzahlungen und Echtzeittransfers von Zentralbankgeld innerhalb des Eurogebiets.
Anhänger von Kryptowährungen verweisen darauf, dass Bitcoin und Co. nicht von der Inflation betroffen sind. Würde das auch für einen digitalen Euro gelten?
Der Wert klassischer Währungen richtet sich immer nach dem Wechselkursverhältnis, den wirtschaftlichen Gegebenheiten des jeweiligen Landes und den Erwartungen, die an den Märkten damit einhergehen. Die Zentralbanken spielen ebenfalls mit hinein. Im Falle des Bitcoins ist das anders – was auch die Frage aufwirft, ob sich Kryptowährungen überhaupt beispielsweise mit dem US-Dollar oder dem Euro vergleichen lassen. Aufgrund seiner Konstruktion ist der Bitcoin in der Tat nicht von einer Inflation betroffen. Bei einem digitalen Euro wäre das anders – er würde sich diesbezüglich genauso verhalten wie das Bargeld.
In welcher Form würde ein digitaler Euro die Finanzwelt verändern? Was würde konkret passieren?
Zunächst einmal hätte die EZB eine Alternative zum Bargeld geschaffen. Das ist im Hinblick auf künftige Probleme im Finanzsektor durchaus interessant, weil es bedeutet, dass sich die EZB unabhängiger von den Geschäftsbanken macht.
Gleichzeitig kann der digitale Euro durch Smart Contracts dabei helfen, Geschäftsprozesse zu automatisieren und Zahlungsströme leichter abzubilden, ohne dass noch eine Bank involviert ist. Gerade für Industrie 4.0 bieten sich zahlreiche spannende Anwendungsmöglichkeiten. Ein Beispiel, das oft genannt wird, ist ein Elektroauto, das eigenständig an einer Ladesäule lädt – und mittels digitalen Euro bezahlt. Smart Contracts führen dazu, dass der Betrag direkt den einzelnen Beteiligten übertragen wird – dem Betreiber der Ladesäule, dem Stromanbieter etc.
Wie können oder sollten Banken sich auf einen möglichen digitalen Euro vorbereiten?
Neben den konkreten Anpassungen an die rechtlichen Rahmenbedingungen ist es wichtig, die entsprechenden IT-Schnittstellen und die IT-Infrastruktur auf einen digitalen Euro vorzubereiten. Es ist noch nicht vollkommen klar, welche Rolle Banken genau bei der Verbreitung des digitalen Euro spielen sollen. Doch als wahrscheinlich gilt, dass sie diesen im Auftrag der EZB herausgeben werden.
Mustafa Cavus ist Head of Blockchain bei Sopra Steria und IT-Architekt. Der studierte Informatiker hat sich auf die Themen Big Data und Blockchain spezialisiert.
Kontakt für Fragen: Mustafa.Cavus@soprasteria.com