An erster Stelle sehen sich die Unternehmen nicht von den großen Tech-Plattformen bedroht. Zwar betrachten 58 Prozent der befragten Führungs- und Fachkräfte Google, Amazon, Facebook und Apple als geschäftsschädigende Wettbewerber. Deutlich mehr (73 Prozent) befürchten allerdings, dass ihnen Branchen- und Nischenplattformen das Leben schwermachen – bei den Finanzdienstleistern sind es 83 Prozent. „Banken sorgen sich vor allem, dass ihnen ab September mit dem obligatorischen PSD2-Zugang zu Kontodaten für Dritte einige Plattformen Geschäft wegnehmen“, sagt Martin Stolberg, Director Banking und Experte für digitale Plattformen bei Sopra Steria.
Jedes dritte Unternehmen sieht zudem die Gefahr, dass Vergleichsportale wie Check24 und Verifox die direkte Verbindung zum Kunden kappen und in absehbarer Zeit eigene digitale Produkte wie Finanz-, Energie- und Internetdienstleistungen anbieten. „Die größere kurzfristige Gefahr für die Versicherer geht von Plattformen wie Verivox und Check24 aus, die mit ihrer Kapitalkraft und ihren Marktkenntnissen den Markt kräftig durcheinanderwirbeln könnten“, sagt Christian Diemaier, Division-Leiter Insurance von Sopra Steria.
Die größte Sorge der Plattformskeptiker insgesamt ist die vor der Abhängigkeit von einer oder mehreren Betreibern. 71 Prozent der Studienteilnehmer sehen das Risiko, dass ihnen große Plattformen wie Google, Amazon und Alibaba Prozesse diktieren und sie auf deren Daten angewiesen sind. Jedes zweite Unternehmen befürchtet zudem einen härteren Preiskampf und dass es zum reinen Zulieferer ohne Kundenkontakt verkommt. Die konventionellen Autohersteller haben zum Beispiel Bedenken, zum Teil einer Lieferkette degradiert und austauschbar zu werden.
Mehr Vor- als Nachteile
Bei der Mehrheit der befragten Manager (63 Prozent) überwiegen die Pro-Plattform-Argumente. Sie interessiert der Zugang zu digitalen Diensten, zu Daten und zu neuen Kunden. Die Unternehmen versprechen sich durch die Teilnahme an Plattformen erhebliche Kosteneinsparungen, unter anderem weil sie Märkte nicht selbst erschließen müssen. Banken und Versicherer fühlen sich am stärksten bedroht und sind gleichzeitig die aktivsten Plattformteilnehmer. 66 Prozent der Finanzdienstleister sind auf einer Plattform vertreten. Branchenübergreifend nutzt jedes zweite Unternehmen andere Plattformen, beispielsweise als Vertriebs- oder Einkaufskanal. 30 Prozent der Firmen bauen derzeit Know-how auf, und jedes vierte Unternehmen ist bereits selbst Plattformbetreiber. In der Automobilbranche arbeiten beispielsweise Daimler und BMW unter dem Now-Markendach an einem eigenen Ökosystem verschiedener Mobilitätsplattformen, das sich jederzeit erweitern lässt.
Plattform-Boom in Deutschland steht noch aus
Generell sind digitale Plattformen in der deutschen Wirtschaft noch nicht dominierend. Bekannt sind vor allem Vergleichsportale. Im Handel wandelt sich Versandhändler Otto aktuell mit dem Plattformumbau zum Marktplatz. Unter den Finanzplattformen hat Interhyp eine enorme Marktrelevanz mit großer Reichweite und ohne physische Beschränkungen erlangt.
„Vielfach wird ausgeblendet“, so Martin Stolberg, „dass Deutschland ist ein ambionierter B2B-Plattformstandort ist. Siemens MindSphere und Bosch IoT für das industrielle Internet der Dinge sowie MAN Rio in der Logistik sind drei namhafte Plattformen in der Industrie. Im Finanzsektor entwickelt sich die Allianz mit der offenen Plattform Allianz Business System zum Softwareanbieter. Die Hannover Rück hat mit hr Equarium ebenfalls eine vielversprechende Fintech-Plattform errichtet. Bei den Banken sind we.trade und Marco Polo zwei relevante Trade-Finance-Konsortien mit deutscher Beteiligung. Zudem bereiten die großen Banken derzeit B2B2C- Plattformlösungen vor.“
Haupteinstiegshürde ins Plattformgeschäft vieler Firmen in Deutschland ist das rückständige Datenmanagement. Unternehmen reichern ihre Produkte zu selten mit Nutzungs- und Prozessdaten an, ergibt eine Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). „Die Kompetenz, Daten zu nutzen, um Entscheidungen zu automatisieren und um Produkte und Dienstleistungen skaliert und kundenindividuell zu gestalten, bauen derzeit viele Unternehmen erst auf. Bei dieser Aufholjagd gegenüber US-Anbietern und asiatischen Unternehmen abgehängt zu werden, ist das größte Risiko für Unternehmen in Deutschland überhaupt“, sagt Plattformexperte Martin Stolberg von Sopra Steria.
Über die Studie:
Die „Potenzialanalyse Digitale Plattformen“ von Sopra Steria und dem F.A.Z.-Institut basiert auf einer Online-Befragung in den Bereichen Banken, Versicherungen, Energie- und Wasserversorgung, Telekommunikation und Medien, öffentliche Verwaltung, Automotive sowie sonstiges verarbeitendes Gewerbe. Im April und Mai 2019 wurden 355 Entscheider, Manager und Fachkräfte befragt, ob und wie ihr Unternehmen auf digitalen Plattformen vertreten ist, welche Chancen die Plattformökonomie bietet und welche Risiken bestehen.
Zusatzhinweis: „Managementkompass Digitale Ökosysteme – der neue Wachstumsmotor“ veröffentlicht
Um Entscheidern einen tieferen Einblick zu gewähren, wo Unternehmen mit ihren Digitalisierungsprojekten stehen, hat Sopra Steria gemeinsam mit dem F.A.Z.-Institut zusätzlich den „Managementkompass Digitale Ökosysteme – der neue Wachstumsmotor“ veröffentlicht. Der Studienband liefert Top-Entscheidern Thinktank-Beiträge und Erfahrungen von Experten aus der Praxis. Leser erfahren, was digitale Ökosysteme ausmacht und welche Regeln und Mechanismen gelten.
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