Nachgefragt bei Jan Josef Marwitz von Sopra Steria Next zum Thema Resilienz
Jan, die Weiterbildung der eigenen Mitarbeiter und digitale Prozesse nennt eine Mehrheit der Unternehmen in der Potenzialanalyse Resilienz als Antwort auf die Frage, was der Organisation dabei helfe, widerstandsfähig zu werden. Nur rund ein Drittel nennt digitale Geschäftsmodelle oder eine skalierbare, digitale Infrastruktur. Wie bewertest Du das Ergebnis?
Die Antworten enthalten für mich eine positive und eine negative Nachricht. Die positive Nachricht lautet: Die Unternehmen haben – auch gerade vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie – die Bedeutung der Digitalisierung erkannt und sind dabei, Know-how aufzubauen. Mit digitalen Prozessen schaffen sie sich die Voraussetzung für Agilität, Flexibilität und damit wiederum für mehr Resilienz. Zur Wahrheit gehört jedoch auch – und das ist dann die negative Nachricht –, dass viele Unternehmen bei der Umsetzung offenkundig noch immer ganz am Anfang stehen.
Außerdem stellt sich oftmals die Frage, welche Qualität diese digitalen Prozesse haben. Der massenhafte Umzug der Beschäftigten ins Homeoffice liefert dafür ein gutes Beispiel. Hat ein Unternehmen die Prozesse der Zusammenarbeit und Kommunikation nicht bereits im Vorfeld optimiert, wird es über die Corona-Pandemie hinausgehend dadurch keine nennenswerten Vorteile erzielen oder sich resilienter aufstellen können – Homeoffice hin oder her. Letztlich haben diese Unternehmen im schlimmsten Fall nämlich lediglich ineffiziente analoge Prozesse digitalisiert, was bedeutet, dass sie Ressourcen verschwenden. Das ist mit Sicherheit kein Beitrag für mehr Resilienz. Erst kommt die Optimierung, dann die Digitalisierung der Prozesse. Das sollten Unternehmen dringend beherzigen.
Also ist die Resilienz eines Unternehmens vorrangig eine Frage der richtigen Organisation und weniger der eingesetzten Technologie?
Richtig. Allerdings gibt es auch bereits etablierte neue Technologien und Ansätze wie etwa Process Mining, die einen wichtigen Beitrag leisten, Organisationen und Abläufe zu analysieren und zu optimieren. Doch um ein Process-Mining-Projekt überhaupt erst einmal erfolgreich im Unternehmen implementieren zu können, braucht es bereits abteilungsübergreifende Zusammenarbeit. Stakeholder aus unterschiedlichsten Unternehmensbereichen müssen einbezogen werden. Schließlich kann jede Optimierungsmaßnahme in einer Abteilung auch Folgen für eine andere Abteilung haben. Das spiegelt die steigende Komplexität zusammenhängender Faktoren in einer Organisation wider.
Mir scheint, dass viele Unternehmen bei diesen sehr grundsätzlichen organisatorischen Fragen noch feststecken. Das würde auch erklären, warum viele noch nicht an Technologien als Optimierungshelfer denken. In unserer Umfrage geben nur 25 Prozent an, Process Mining zu nutzen, um schneller auf Veränderungen reagieren zu können. Big Data Analytics oder Künstliche Intelligenz, die sich ebenfalls für die Prozessoptimierung nutzen lässt, nennen sogar nur 22 Prozent bzw. 17 Prozent der Unternehmen.
Die Organisation eines Unternehmens ist eng verknüpft mit der Frage nach der Führung. Klar ist: Gute Führung trägt ebenfalls dazu bei, ein Unternehmen oder eine Behörde widerstandsfähiger zu machen. Eine große Rolle spielt in den Umfrageergebnissen das Delegieren von Verantwortung. 60 Prozent der Befragten halten beispielsweise das Abgeben von Verantwortung an ein Team für wichtig. Gut die Hälfte spricht von einem neuen Führungsverständnis, bei dem der Chef weniger als Entscheider und mehr als Moderator auftritt. Setzt sich jetzt das Holacracy-Modell durch?
Nein. Im Ergebnis sollten Entscheider auch bereit sein zu entscheiden. Doch um als Unternehmen immer bestmöglich auf die aktuellen Herausforderungen reagieren zu können, muss ich in der Lage sein, meine interne Organisation fortlaufend anzupassen. Starre Hierarchien sind dabei ein Hindernis. Sie können Mitarbeiter unnötig belasten und bremsen die Innovationskraft eines Unternehmens aus. In früheren Zeiten war es sinnvoll, Unternehmen stark hierarchisch zu prägen. Doch je mehr beispielsweise Software-Roboter (RPA) gleichbleibende Aufgaben übernehmen, desto abwechslungsreicher fallen die Aufgaben der menschlichen Beschäftigten aus. Das lässt sich mit starren Hierarchien immer schwerer vereinbaren. Genau deshalb setzen bereits viele Unternehmen darauf, die Eigenverantwortung der Beschäftigten zu stärken und sie mehr in Entscheidungsprozesse mit einzubeziehen. Dennoch braucht es jene, die am Ende des Tages sagen, wohin die Organisation steuern soll. Und selbst diese Personen entscheiden heute nicht mehr allein, denkt man nur an die vielen breit besetzten Steuerungsorgane von Organisationen.
Die IT ist beim Thema Resilienz das Rückgrat vieler Unternehmen. Sie ermöglicht erst, dass Abteilungen agil und vernetzt miteinander arbeiten und so ihre Resilienz verbessern können. Nur wenn die IT die richtigen Lösungen bereitstellt, können die Beschäftigten eigenverantwortlicher arbeiten. Doch was macht eine resiliente IT im Kern aus?
Kurz gesagt: Die IT muss die Abhängigkeit einzelner Prozesse voneinander so gering wie möglich halten. Es mag zunächst paradox klingen, doch je stärker ich Systeme miteinander vernetze, Informationen und Daten austausche, desto mehr Unabhängigkeit muss die IT den Teilsystemen ermöglichen. Diese Faustregel gilt für den stabilen Alltagsbetrieb meines Systems ebenso wie für die Cyberabwehr – und sie lässt sich durchaus auch auf alle anderen Prozesse in meiner Organisation übertragen. In der Praxis kommt es dabei in der IT zu einer Kombination aus Automatisierung und agilen Methoden sowie verschiedenen Formen von Chaos-Engineering.
Denn angesichts einer immer komplexeren Bedrohungslage ist es Unternehmen nicht mehr möglich, ihre IT händisch zu optimieren oder vor Eindringlingen zu schützen. Daher sind andere Lösungen gefragt. Eine Use-Case Factory beispielsweise, die mit Security DevOps und Künstlicher Intelligenz arbeitet, kann zum Einsatz kommen und dabei helfen, die IT-Sicherheit agil zu halten. Indem sie immer wieder neue Anwendungsfälle entwickelt, fordert sie die eigene IT heraus und unterstützt so dabei, Sicherheitsabläufe auf dem neuesten Stand zu halten. In eine ähnliche Richtung geht der Chaos Monkey, der ursprünglich vom Streaming-Anbieter Netflix entwickelt worden ist: Der Chaos Monkey zerstört zufällig Instanzen einer Systemarchitektur. So lässt sich die Abhängigkeit der einzelnen Instanzen voneinander prüfen und gegebenenfalls verringern. Das System optimiert sich also in Teilen selbst.
Vielen Dank für das Gespräch, Jan!
Jan Josef Marwitz ist Berater bei Sopra Steria Next mit den Themenschwerpunkten Digital Process Management und Innovation.
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