Nachgefragt bei Wolfgang Gerhards aus dem Geschäftsbereich Energy & Utilities von Sopra Steria, zur geplanten Gaspreisbremse und warum eine Einführung vor März nicht realistisch ist.
Die Bundesregierung würde gerne die für März 2023 geplante Gaspreisbremse bereits zum 1. Januar einführen. Die Energieunternehmen in Deutschland schließen das aus. Ein früherer Start sei angesichts der notwendigen Anpassungen in den IT-Systemen unmöglich, heißt es vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Wir haben bei Wolfgang Gerhards aus unserem Energy & Utilities Team nachgefragt, was die Umstellung so komplex macht.
Wolfgang, als Laie denke ich: Warum passen die Energieversorger nicht einfach das Preismodell gemäß der Gaspreisbremse in ihren Vertragsverwaltungs- und Abrechnungssystemen an, und los geht’s?
Das scheitert am Begriff „einfach“. Wir haben es nicht mit der bloßen Eingabe eines neuen Bruttopreises und kleinen Anpassungen an wenigen Feldern in den Vertragssystemen zu tun. Das Preismodell sieht vor, dass 80 Prozent des Verbrauchs auf einen Preis von 12 Cent/kWh gedeckelt werden. Die restlichen 20 Prozent müssen Verbraucherinnen und Verbraucher dann zum marktüblichen Preis bezahlen. Das Modell ist somit nicht trivial.
Speziell die genaue Ermittlung der 80 Prozent ist eine Herausforderung. In den meisten Haushalten wird der Gaszählerstand nur einmal im Jahr abgelesen und nicht unbedingt immer am gleichen Tag des Jahres. Hinzu kommen Versorgerwechsel, in denen dem aktuellen Gasversorger der historische Verbrauch nicht oder nicht vollständig vorliegt. Der Gasverbrauch ist außerdem stark saisonal abhängig. Das erschwert das Schätzen fehlender Verbräuche. Für all diese Fragestellungen wird ein Regelwerk benötigt, damit jeder Versorger die 80 Prozent auf die gleiche Art berechnet. Dieses Regelwerk liegt aktuell im Detail noch nicht vor und muss in die IT-Systeme der Gasversorger implementiert werden.
Darüber hinaus ist Vertrag nicht gleich Vertrag und Tarif nicht gleich Tarif. Verbraucherinnen und Verbraucher können seit der Öffnung des Marktes 2006 aus einer Fülle von Gastarifen auswählen, die sich nach Laufzeit, Verbrauch, Region und weiteren Kriterien unterscheiden. Für jeden Tarif müssen die Versorger einzelne Tarifkomponenten fachlich prüfen, wie sich das Preismodell der Gaspreisbremse auf die Erfassung des Verbrauchs und die Abrechnung auswirkt und welche Umprogrammierungen an den IT-Systemen nötig sind, damit alle Verbräuche fehlerfrei erfasst und abgerechnet werden.
Erschwerend hinzu kommt ein Ressourcenengpass. Die Gaspreisbremse wird zu einem Run auf SAP-Experten führen, die für deren Umsetzung benötigt werden. Denn die Energiewirtschaft arbeitet derzeit am Jahresabschluss. Eine große Zahl interner Mitarbeiter sind dadurch gebunden. Die Mehrheit der Energieversorger hat somit nicht genügend Personal, das Projekt Gaspreisbremse on top bis zum Jahresende zu stemmen. Einige Konzerne würden es unter Umständen hinbekommen, aber nicht alle 900 Versorger zur gleichen Zeit, inklusive der kleineren Stadtwerke.
Muss denn jeder für sich arbeiten? Ein Großteil der Energieversorger in Deutschland arbeitet wahrscheinlich mit den gleichen Softwareunternehmen zusammen. Würde es den Prozess nicht beschleunigen, wenn die IT-Anbieter die Neuerungen der Gaspreisbremse zentral umsetzen und ihren Kunden, den Energieversorgern, als Update zur Verfügung stellen?
Das Vorgehen funktioniert leider nicht. Richtig ist: Ein Großteil der Energieversorger arbeitet mit der SAP-Branchenlösung für Energieversorger SAP IS-U. Die heterogene Tariflandschaft und die vielen Eigenheiten, die jeder Energieversorger über die Jahre in seinen Erfassungs-, Vertrags- und Abrechnungssystemen eingebaut hat, machen dem allerdings einen Strich durch die Rechnung.
Ein Konzern wie SAP kann angesichts der vielen Sonderkonfigurationen der Versorger nur schwer eine zentrale Anpassung der Systeme für die Gaspreisbremse leisten, auf jeden Fall nicht in so kurzer Zeit. Das Unternehmen hat ohnehin alle Hände voll zu tun, die Energiebranche bei der Umstellung seiner Software SAP IS-U von einer Client-Server-Variante auf eine Cloud-basierte Lösung zu unterstützen. 2027 läuft der Support für die Client-Server-Lösung von SAP IS-U aus. Für die IT- und Fachabteilungen der Energieversorger bedeutet diese Modernisierung ein weiteres Umstellungsprojekt, das sie meistern müssen. Eine frühere Einführung der Gaspreisbremse zum Januar würde die umsetzenden Projektteams zusätzlich belasten. Die Folge: Das Fehlerrisiko wäre enorm groß, und einen Ansturm von Verbraucherbeschwerden wollen Energiebranche und Politik sicherlich vermeiden.
Stichwort Modernisierung: Kann sich die Energiewirtschaft künftig anders aufstellen, so dass sie auf Szenarien wie dieses noch besser vorbereitet ist?
Die zunehmende Digitalisierung der Energiewirtschaft wird mittel- und langfristig sicherlich helfen. Dazu gehört beispielsweise die Umstellung auf intelligente Zähler, sogenannte Smart Meter. Damit können Energieversorger Zählerstände bequem zu beliebigen Zeiten messen, was die genaue Mengenermittlung natürlich vereinfacht. Im Stromgeschäft erfolgt der Umstieg auf diese Smart Meter bereits seit einigen Jahren. Bei Gas stehen die Versorger noch am Anfang. Wäre solch eine Smart-Meter-Infrastruktur bereits etabliert, wäre die 80-Prozent-Mengenermittlung der Gaspreisbremse jedenfalls deutlich einfacher.
Vielen Dank, Wolfgang Gerhards.
Wolfgang Gerhards ist Senior Manager im Geschäftsbereich Energy & Utilities von Sopra Steria. Er berät Energieversorger bei der Digitalisierung und der Veränderung ihrer Geschäftsmodelle.