Agiles Projektmanagement liegt im Trend. Ganz vorne Scrum, ein Gerüst für Projekte, bei denen zu Projektbeginn das Ziel noch nicht klar zu umreißen ist. Dr. Stephan Reindl nimmt im Interview Stellung zur Bedeutung agiler Ansätze.
Dr. Stephan Reindl nimmt im Interview Stellung zur Bedeutung agiler Ansätze.
Herr Dr. Reindl, agiles Projektmanagement und speziell Scrum sind in aller Munde. Warum eigentlich?
Dr. Stephan Reindl: Klassisch lineare Vorgehensweisen sind den aktuellen Anforderungen häufig nicht mehr gewachsen. Nicht nur in der Softwareentwicklung geht der Trend hin zu immer kürzeren Releasezyklen. Unternehmen wollen neue Produkte möglichst schnell nach dem First-to-Market-Ansatz anbieten. Gleichzeitig möchte jeder Anbieter qualitativ vorne sein und möglichst passgenaue Produkte anbieten. Agile Vorgehensweisen des Projektmanagements haben sich hier bewährt, um diesen Spagat aus Geschwindigkeit und Qualität zu schaffen.
Dazu kommen Veränderungen der Zusammenarbeit in der Arbeitswelt insgesamt. Hierarchien werden flacher, Teams bekommen mehr Verantwortung, sind selbstständiger und arbeiten immer häufiger über den Erdball verteilt am selben Projekt. Gleichzeitig treten Führungskräfte und Projektleiter häufiger als Moderatoren und Mentoren auf und nicht mehr nur als Bestimmer und Vorgeber. Diese Entwicklung zieht automatisch neue Konzepte im Projektmanagement nach sich. Speziell bei der Zusammenarbeit mit Offshore-Partnern gewinnen Scrum und andere agile Projektmanagementansätze massiv an Bedeutung.
Was ist der größte Irrtum in Bezug auf agiles Projektmanagement?
Dr. Reindl: Man kann viele Fehler machen, wenn man auf agile Methoden umschwenkt. Scrum ist beispielsweise einfach, aber nicht leicht! Das schrittweise Befolgen eines agilen „Rezepts“ funktioniert nicht. Agilität ist zwar erlernbar, aber man muss sich persönlich und organisatorisch darauf einlassen. Wir hören in der Praxis häufiger den Satz: Wir sind agil, weil wir iterativ vorgehen.“ Das Gegenteil ist der Fall: Projektteams gehen iterativ vor, weil sie agil sind. Ein anderer verbreiteter Irrtum ist, dass in einem agilen Umfeld nicht geplant wird. Ich persönlich habe wenige Projekte kennengelernt, in denen mehr geplant worden ist, als in unseren bereits abgeschlossenen Scrum-Projekten. Aber bei allem Fehlerpotenzial: Der größte Fehler ist es aus meiner Sicht, es gar nicht erst zu versuchen.
Haben wir mit der Agilität eine Art Allheilmittel im Projektmanagement gefunden?
Dr. Reindl: Nein, das sehe ich nicht so. Es wäre genauso fatal auf Scrum als „DIE Lösung“ zu setzen, wie auf ein klassisches Wasserfallmodell. Agilität zielt auf die Behandlung von Unsicherheit. Je unschärfer ein Produkt beschrieben ist oder je mehr Änderungen ich während der Produktentwicklung einplanen muss – beispielsweise um einem dynamischen Markt gerecht zu werden – desto sinnvoller ist es, ein agiles Vorgehensmodell einzusetzen. Wenn ich mein Produkt dagegen genau vorab beschreiben kann und sich daran während der Implementierungszeit nicht viel ändert, werde ich lieber ein klassisches Modell wählen. Agilität und Wasserfall sind zwei Seiten einer Medaille.
Herr Reindl, vielen Dank für das Gespräch!
Dr. Stephan Reindl
Leiter des operativen Bereichs Unternehmenssteuerung und SAP Business Development in der Branche Telecommunications bei Sopra Steria